Ein Traum von allem, was war

"Eine Zusammenfassung von allem, was war" - Regie: Sebastian Nübling und Ensemble - Maxim Gorki Theater, Berlin

Als im Publikum das Licht ausgeht, bleibt die Bühne leer. Stellt euch vor, sagt jemand in der ersten Reihe, dass eine Aufführung stattfindet. Stellt euch vor, es findet eine Aufführung statt, die von Einsamkeit handelt. Stellt euch vor, es findet eine Aufführung statt, die von Einsamkeit handelt und lustig ist.

Stellt euch vor, dass eine Aufführung von "Eine Zusammenfassung von allem, was war" stattfindet, und dass wir zu euch in unserer eigenen Sprache sprechen und ihr trotzdem alles versteht. Für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die kurz darauf die Bühne betreten, ist die Vorstellungskraft wichtig, denn sie hilft ihnen, sich der Realität zu stellen. Wie Kenda Hmeidan, die in der Show mitspielt, schreibt, gibt das Erfinden einer anderen Realität das Gefühl, dem Geschehen widerstehen und es überleben zu können.

Und viele alptraumhafte Dinge sind und waren geschehen. Die Inszenierung am Gorki-Theater ist ein Versuch, zusammenzufassen, was mit Menschen geschehen ist, deren Länder von zerstörerischem Krieg betroffen sind. Sie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit des deutschen Regisseurs Sebastian Nübling mit einem Ensemble von vier jungen Schauspielern und Schauspielerinnen: die in Syrien geborenen Kenda Hmeidan, Kinan Hmeidan und Lujain Mustafa sowie der in Palästina geborene Karim Daoud. Sie alle mussten ihr Land verlassen und sind in Berlin gelandet. Das Stück, das sie entwickelt haben, ist ein Versuch, über die Erfahrungen von Krieg und Migration auf eine Art und Weise zu sprechen, die Flüchtlinge stärkt, anstatt sie zu Opfern zu machen. Ermöglicht wurde ihnen dies durch das Buch von Rasha Abbas, auf dem das ganze Stück basiert. Abbas ist eine syrische Journalistin und Schriftstellerin, die ebenfalls gezwungen war, aus Syrien zu fliehen. Seit 2015 lebt sie in Europa. 2018 veröffentlichte sie eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel "Eine Zusammenfassung von allem, was Krieg war". Abbas fasst die Geschehnisse nicht durch die Beschreibung ihrer eigenen individuellen Erlebnisse zusammen, sondern durch die Erfindung abstrakter Bilder und surrealer Ereignisse. Die Vorstellungskraft spielt also eine zentrale Rolle in ihrer Literatur.

In einem Essay, der auf der Website des Gorki-Theaters zu lesen ist, schreibt Kenda Hmeidan, dass "Eine Zusammenfassung von allem, was war" ein langer Traum ist, der sich in unterschiedlichen Bildern wiederholt, und eine Geschichte über Charaktere, die denselben Traum an unterschiedlichen Orten träumen. Der Vergleich mit einem Traum beschreibt die Form des Theaterstücks gut. Wie in einem Traum vermischen sich hier Erinnerungen an reale Ereignisse mit völlig imaginären Szenen. Geschichten, oder vielmehr Fragmente von Geschichten, fließen ineinander. Das Tempo der Aufführung verlangsamt sich nie. Es vermittelt das Gefühl eines ununterbrochenen Laufs durch das Chaos der Welt. Dieser Effekt wird durch die immer wiederkehrende Techno-Musik, die die Lücken zwischen den Szenen füllt, noch verstärkt. Die Figuren befinden sich in ständiger Bewegung und die Schauspieler schlüpfen ständig in ihre Rollen und wieder heraus. Es entstehen surreale Bilder auf einer Bühne, auf der sich alles konstant verändert. Die Ereignisse werden symbolisch dargestellt und oft in Monologen beschrieben. Die Schauspieler sprechen abwechselnd Arabisch, Englisch und Deutsch. Untertitel mit Übersetzungen erscheinen an verschiedenen Stellen - mal über der Bühne, mal auf ihr, projiziert auf riesige Leinwände. So wird der Text zuweilen Teil des Bühnenbildes. Worte sind ein wichtiger Teil der Aufführung, aber sie sind nicht das einzige Medium, mit dem die Erfahrungen von Krieg und Migration dargestellt werden. Emotionen und Gefühle, die durch die Körpersprache ausgedrückt werden, spielen eine wichtige Rolle. Einige der besten Szenen sind die, in denen Kinan Hmeidan und später Lujain Mustafa ihre eigenen Zusammenfassungen der "Zusammenfassung von allem, was war", präsentieren. Hmeidan tut dies durch seine Mimik. Jeder Gesichtsausdruck bezieht sich auf eine andere Geschichte. Mustafa hingegen präsentiert ihre Interpretation durch Tanz. Die Verwendung von alternativen Kommunikationsformen zum Wort ist ein äußerst interessante Herangehensweise. Es zeigt sich, dass man auf diese Weise erstaunlich viel über ein Buch lernen kann.

Meiner Meinung nach sind die bewegendsten Momente des Stücks die Szenen, in denen die minimalistischsten, symbolischen Mittel eingesetzt werden. Eine solche Szene ist zum Beispiel die Geschichte eines Mädchens, das nach dem Krieg zu seiner Familie nach Hause zurückkehrt. Mustafa erzählt sie, indem sie auf allen Vieren über die Bühne läuft und ihren Kopf in einem roten Eimer versteckt. Ein weiteres denkwürdiges Bild sind die Zitronen, die unter dem Kleid von Kenda Hmeidan hervorquellen und eine nach der anderen über den Bühnenrand rollen. Gleichzeitig rezitiert die Figur einen Brief, in dem sie ihre Mutter bittet, sich beim Anblick ihres abgeschlagenen Kopfes nicht zu erschrecken, sondern ihn in einen Topf zu legen und ihr Schmerzmittel zu geben. Auch die Geschichte des Mädchens mit den blauen Haaren, aus denen ein Rinnsal von Farbe tropft, als sie auf den Straßen Berlins Menschen anspricht und ihnen ihre Geschichte erzählen will, blieb mir lange im Gedächtnis. In dieser Szene trugen die vier Schauspieler blaue Perücken und sprachen abwechselnd. Hier, wie in vielen anderen Momenten, ist die Lichtarbeit von Christian Gierden bemerkenswert.

Weniger überzeugt bin ich von den eher überwältigenden Effekten, die in "Eine Zusammenfassung von allem was war" zum Einsatz kommen. Das Bühnenbild (entworfen von Sebastian Nübling und Evi Bauer) besteht aus großen Leinwänden, auf denen immer wieder Videoprojektionen von Qusay Awad und Christopher Bonte zu sehen sind. Die überdimensionalen Projektionen sind manchmal surreal, manchmal erinnern sie an Computerspiele. Sie ziehen sehr viel Aufmerksamkeit auf sich, was die Gefahr birgt, dass die weniger glamourösen Elemente der Aufführung etwas verloren gehen. Die Geschichten von Rasha Abbas rufen schon für sich genommen intensive Empfindungen hervor. Wenn sie mit dieser Art von Videoinstallation und lauter Technomusik kombiniert werden, verlässt man die Aufführung definitiv überreizt. Der Performance fehlen Momente der Stille, in denen wir über das, was wir sehen, nachdenken könnten. Kaum erleben wir die Geschichte, die wir gehört haben, und schon beginnt eine andere. Die Traumform hat den Nachteil, dass sie es schwierig macht, den Traum eines anderen Menschen vollständig zu verstehen, zu entschlüsseln, was ihn eigentlich inspiriert hat. Wir können nur erraten und erahnen, aber dafür reicht uns die Zeit nicht.

Andererseits ist Bewegung eines der Hauptthemen dieses Stücks, dessen Figuren der Bewegung nie entkommen zu können scheinen. Es erzählt die Geschichte einer Welt, die vom Chaos beherrscht wird. Eine Zusammenfassung all dessen, was passiert ist, könnte wahrscheinlich nicht ruhig und leicht zu sehen sein. Ich denke auch, dass dieses Stück von verschiedenen Menschen unterschiedlich aufgenommen wird. Ich kann mir vorstellen, dass Zuschauer, die ähnliche Erfahrungen wie die Schauspieler gemacht haben, das Stück viel besser verstehen als ich und vielleicht sogar ihre eigenen Gefühle darin wiederfinden. "Eine Zusammenfassung von allem, was war" ist ein Traum, aber ein kollektiver Traum. Er soll zusammenfassen, was viele Menschen erlebt haben. Die meisten Monologe im Stück beginnen mit denselben Worten: Mein Name ist unwichtig. Ich bin ... Jahre alt. Sie können mich Samt nennen.

Das Einzigartige an diesem Stück ist, dass es deutlich zeigt, wie persönlich wichtig es für die beteiligten Schauspieler und Schauspielerinnen ist. Die Protagonisten des Stücks, wurzellose Flüchtlinge, sind extrem starke Charaktere. Wenn sie ihre Geschichten erzählen, tanzen sie. In voller Lautstärke schreien sie "Licht!" und rufen die Scheinwerfer herbei, wenn sie zu sprechen beginnen wollen. Die ersten Worte in Rasha Abbas' Buch lauten Was uns zerbricht, das rettet uns. Kenda Hmeidan fügt hinzu: Diese wurzellosen Charaktere haben nichts zu verlieren, daher gibt es nichts, was sie zerbrechen oder verletzen kann, und sie werden immer weitergehen, bis sie erreicht haben, was sie wollen. Ich denke, die Aufführung im Gorki-Theater hat das Potenzial, sowohl dem Publikum als auch den Autoren und Autorinnen Kraft zu geben. Vielleicht ist es das, was es zu gutem Theater macht.

Informationen zum Stück:

Unter der Regie von: Sebastian Nübling mit Schauspielensemble
Dramaturgie: Valerie Göhring
Bühne: Sebastian Nübling und Evi Bauer
Ensemble: Kenda Hmeidan, Kinan Hmeidan, Lujain Mustafa, Karim Daoud

Premiere: 5.02.2022, Berlin
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