Wer kann in "Drei Schwestern" mitspielen?

"Sistas!" - Regie: Isabelle Redfern und Katharina Stoll - Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin

In "Sistas!", inszeniert von Isabelle Redfern und Katharina Stoll, sitzen die drei Schwestern in einer mit schmutzig-blauem Teppich ausgelegten Berliner Wohnung. Wie in Tschechows "Drei Schwestern", auf dem "Sistas!" basiert, schwelgen die Heldinnen in nostalgischen Erinnerungen an die Vergangenheit, klagen über den Alltag, der sie ermüdet, und träumen von der Zukunft.

Nur, dass Olivia (Isabelle Redfern), Masha (Diana Maria Müller) und Ivy (Pia Amofa-Antwi) statt nach Moskau nach Amerika gehen wollen. Von dort kommt ihr Vater Andrew (Aloysius Itoka), ein Militär, der vor Jahren nach Deutschland kam, um in einer Militärbasis in Berlin zu dienen. Die Mutter der Schwestern, eine deutsche Frau, mit der er damals liiert war, zog ihre Töchter weitgehend allein auf, als er nach einiger Zeit in die USA zurückkehrte. Das Stück "Sistas!" beginnt viele Jahre später, an einem Tag, an dem Andrew seine Töchter besucht, um den 21. Geburtstag von Ivy, der jüngsten von ihnen, zu feiern. Er bleibt die nächsten Tage in ihrer Wohnung und bringt bald darauf auch seine junge Partnerin Natti (Amanda Babei Vieira) mit. Dieses Konversationsstück hat eine weitere Heldin - eine Pianistin koreanischer Herkunft, Soo Jin (MING). "Sistas!" ist ein Stück, das vor allem auf den brillant geschriebenen Dialogen dieser sechs Figuren beruht.

Worüber reden die Schwestern, die auf einem kleinen, mit rosa Plüsch gepolsterten Sofa sitzen? Sie reden viel über den Rassismus, den sie als Schwarze in Deutschland erleben. "Sistas!" ist ein Kommentar speziell zum Rassismus in der Theaterwelt. Ivy ist Schauspielschülerin und träumt von großen Rollen. "Aber was wirst du spielen, wenn du schwarz bist?" - fragt Masha sie. Ivy würde gerne in Tschechow mitspielen, aber ihre Schwester macht sich über sie lustig. "Die Stücke, die für dich in Frage kommen, handeln entweder von Rassismus oder von Flüchtlingen", erklärt sie kategorisch. Paradoxerweise hat die Heldin dieser Version von "Drei Schwestern" kaum eine Chance, in "Drei Schwestern" mitzuspielen. Diese bittere Szene spricht ein echtes Problem an, das im Theater existiert. Wie die Autoren des Stücks betonen, basiert "Sistas!" auf ihren Erfahrungen und denen ihrer Freunde. Menschen, deren Hautfarbe nicht weiß ist, haben es viel schwerer, eine Rolle in Inszenierungen klassischer europäischer Theaterstücke zu bekommen. Obwohl sich immer mehr Theatermacher dazu entschließen, bei der Besetzung von Rollen die Hautfarbe nicht zu berücksichtigen, gibt es immer noch viele Menschen, die dies strikt ablehnen. "Wie kann die Heldin von Tschechows Stück, eine russische Frau aus Moskau, nicht weiß sein?" - fragen sie. Dabei geht es im Theater doch gerade darum, dass Schauspieler die Rollen anderer Menschen spielen. Sie setzen ihre Körper auf der Bühne ein, um jemand anderen zu spielen. Wie sich herausstellt, schenken wir einigen Merkmalen dieses Körpers viel mehr Aufmerksamkeit als anderen. Niemand würde die Haarfarbe der Schauspielerinnen in "Drei Schwestern" kritisieren, wenn sie von der ursprünglichen Idee des Autors abweicht. Auch würde niemand behaupten, dass das Stück an Authentizität verliert, wenn die Schauspielerinnen, die Tschechow spielen, kein Russisch sprechen. Stattdessen ist die Hautfarbe derselben Schauspielerinnen für viele auffällig. In "Sistas!" erklärt Masha, dass selbst wenn Ivy fantastisch spielen würde, würden die Leute nicht aufhören zu bemerken, dass sie schwarz ist. Die Erklärung für diese offensichtliche Ungereimtheit ist der tief in unserer Gesellschaft verwurzelte Rassismus, ein Rassismus, der oft unbewusst bleibt. Die Tatsache, dass die Hautfarbe eine gesellschaftlich so bedeutsame Kategorie ist, bedeutet, dass Ivy damit rechnen muss, dass sie auf der Bühne immer noch in erster Linie als Schwarze gesehen wird. Eine weitere, ähnlich verankerte Kategorie ist das Geschlecht. Eine Frau in einer Männerrolle zu besetzen, ist nach wie vor ungewöhnlich und bleibt nicht unbemerkt. Auch Menschen, die vielen anderen Gruppen angehören, haben mit dem Problem der begrenzten Verfügbarkeit von Rollen zu kämpfen.

Eine interessante Protagonistin von "Sistas!" ist Soo Jin, eine Pianistin koreanischer Herkunft, die Olivia als ihre Klavierbegleiterin zu Hause angestellt hat. Die Beziehung zwischen ihr und der ältesten Schwester zeigt, dass es verschiedene Formen von Rassismus gibt, denn wie sich herausstellt, ist es Olivia nie in den Sinn gekommen, dass Soo Jin gut Deutsch sprechen könnte. Zu Beginn des Stücks ist die Pianistin wie ein Geist, dem niemand Beachtung schenkt. Als sie schließlich in den Vordergrund tritt, stellt sich Soo Jin als das "asiatische Token dieses Stücks" vor. Dann präsentiert sie eine Abfolge aller Verhaltensweisen, die den Asiaten stereotyp zugeschrieben werden - von Spiritualismus und Yoga über Akupunktur und Sumo bis hin zum zeremoniellen Selbstmord. Diese ironische Szene ist eine Kritik an einer Gesellschaft, die die Menschen in starre Stereotypen einordnet, die, anders als man meinen könnte, im Theater keineswegs verschwinden.

Die Figuren in "Sistas!" sprechen auch viel über ihre Identität, nach der sie immer noch zu suchen scheinen. Olivia sagt, dass sie voll und ganz Deutsche ist - schließlich hat sie eine deutsche Mutter und einen deutschen Pass. Ihre Schwestern sind sich weniger sicher, wo sie hingehören. Eine von ihnen sagt, dass sie, wenn sie auf der Straße ist, das Gefühl hat, die Einzige zu sein. Alle anderen sind weiß. Masha und Ivy fehlt die Gemeinschaft. Sie träumen davon, nach Amerika zu ziehen, weil es dort mehr Menschen wie sie gäbe. Vor allem Ivy glaubt, dass in New York alles besser wäre, dass sie erst dort ein richtiges Leben beginnen könnte. Der american dream wird in den Gesprächen der Schwestern erstaunlich deutlich.

Das Verhalten der Schwestern auf der Bühne ist fast immer sehr natürlich. Jede Figur hat, obwohl sie nicht übertrieben ist, ihre eigenen Charakterzüge und ihre eigene Art zu sprechen. Ivy blickt hoffnungsvoll in die Zukunft und ist ziemlich naiv, Masha - obwohl sie fröhlich zu sein scheint - benutzt sehr oft Ironie, Olivia ist die müdeste und mutloseste von allen. Die Figur der Natti hingegen wird ganz anders gespielt. Natti scheint alles für die Show zu tun. Sie ist auch jemand, der immer wieder die vierte Wand durchbricht. An einer Stelle betritt sie das Publikum und beginnt, Eiscreme zu verkaufen. Sie treibt alle drei Schwestern in den Wahnsinn und ihre offen rassistischen Äußerungen führen dazu, dass selbst das Publikum sie manchmal zum Schweigen bringen möchte.

Die realistischen Szenen des Stücks werden durch überraschende Elemente unterbrochen. Die Rolle der Zwischenspiele übernehmen Fragmente von Opernliedern, die von Olivia in Begleitung von Soo Jin vorgetragen werden. Während die älteste Schwester singt, hängen an den Wänden der hässlichen Berliner Wohnung Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Vergangenheit der Familie - Bilder aus der Kindheit, von amerikanisch-deutschen Festen, von Ausflügen an den Wannsee, aber auch von amerikanischen Militärbegegnungen. Auch visuell (Bühnenbild: Lani Tran-Duc, Kostüme: Martha Lange, Carlotta Schuhmann) besteht die Aufführung aus unstimmigen Elementen. Ein elegantes Klavier steht auf einem blauen Teppich, daneben liegt ein riesiges, plüschiges rosa Kaninchen. Die Schwestern sind in eher kitschige rosa Kostüme gekleidet. All das zusammen ergibt einen ziemlich seltsamen Effekt, aber ich denke, das ist kein Fehler in der Show. In "Sistas!" geht es schließlich um Frauen, die sich dort, wo sie sind, nicht ganz wohl fühlen. Sie glauben, dass es eine andere Welt gibt, in die sie wirklich gehören könnten. Diese Berliner Mietwohnung scheint sie zu ermüden, vielleicht sogar einzusperren.

Der Hauptvorteil von "Sistas!" besteht darin, dass dieses Stück ein äußerst gesellschaftsrelevantes Problem beleuchtet. Es zeigt, wie verletzend alle Formen von Rassismus sind, auch die versteckten. Sich selbst definieren zu können, ist wahnsinnig wichtig. Es ist unmöglich, sich frei Kunst zu schaffen, solange andere in einem nur ein bereits vorgefertigtes Bild von einem sehen. Wie eine der Schwestern am Ende der Aufführung sagt, kann wahre Kunst nur entstehen, wenn man für sich selbst sprechen kann. Das Stück "Sistas!" ist inspirierend, weil die Menschen, die es machen, auf ihre eigene Art und Weise über ihre Erfahrungen sprechen. Die daraus resultierende Kritik an der Gesellschaft und ihrem Theater regt zum Nachdenken an.

Marianna Wicha
Dziennik Teatralny Warszawa
11 kwietnia 2023

Książka tygodnia

Białość
Wydawnictwo ArtRage
Jon Fosse

Trailer tygodnia